Auf die Anfrage, ob er mit uns über seine Zeit am Abendgymnasium sprechen würde, merkt Thomas Jablonski an, dass er eigentlich eine Ausnahme im Zweiten Bildungsweg darstellen würde, da er älter als die Mehrheit der Studierenden sei. „Aber vielleicht ist das Gespräch ein Ansporn für ältere Menschen, die sich diesen Wunsch erfüllen wollen“, sagt Thomas Jablonski.
Der 52-jährige, der in Gelsenkirchen geboren ist und noch bis heute dort lebt, kommt einen Monat nach seiner Abiturentlassung wieder in die Schule und strahlt dieselbe Fröhlichkeit aus, die er während der gesamten Schulzeit offen zeigte. Er betont, dass man als alter Gelsenkirchener natürlich auch den dort ansässigen Fußballverein unterstützt. Hier haben wir es mit einem Ruhrgebietler durch und durch zu tun. Er wollte zunächst auch in Gelsenkirchen-Schalke das Abendgymnasium besuchen, doch wegen des Schichtsystems wurde er an das Nikolaus-Groß-Abendgymnasium verwiesen, um sich seinen Wunsch zu erfüllen. Im Gespräch zeigt sich schnell, mit welcher Motivation er zum Abendgymnasium kam: „Im Alter wollte ich austesten, ob ich es schaffen kann, das Abitur nachzuholen, und es hat am Ende geklappt.“
Im Freundes- und Familienkreis sorgte die Entscheidung von Thomas Jablonski zunächst für ungläubige Blicke. „Erst einmal fragten sich viele, warum man in dem Alter noch sein Abitur nachholen wolle.“ Doch er ließ sich nicht verunsichern und absolvierte das Abendgymnasium ausgehend vom Vorkurs, bis er im Dezember 2015 endlich das heiß ersehnte Abiturzeugnis in den Händen hielt. Die Begeisterung in seinem Umfeld beschreibt Thomas Jablonski so: „Hinterher sind die meisten schon davon ausgegangen, dass am Ende ein positives Ergebnis kommt. Ich konnte also nur noch gewinnen.“ Er muss selbst lachen, als er diese Rückmeldungen beschreibt. Sein Abschluss kann sich aber sehen lassen. Mit 2,0 im Schnitt stehen ihm nun viele Türen offen.
Doch für Geld, so Jablonski, brauche er aus Altersgründen nicht mehr zu studieren. Er betont jedoch mehrfach, dass es ihn reizen würde, ein Studium im Bereich der Geschichte oder Kunstgeschichte zu beginnen. Dies muss er jedoch zunächst mit seinem Arbeitgeber abklären. Dieser hat Thomas Jablonski während der vergangenen dreieinhalb Jahre vorbildlich unterstützt: „Die Firma ist mir bei vielen schulischen Terminen, beispielsweise bei den Klausuren, sehr entgegengekommen. An diesen Tagen konnte ich oft frei nehmen, sodass die Vereinbarkeit von Beruf und Schule sehr gut geklappt hat.“
Dies ist eine Anerkennung, die sich Thomas Jablonski erarbeitet hat, denn er arbeitet seit seiner Ausbildung, also schon seit 35 Jahren bei ein und demselben Unternehmen, was er selbst als besonders selten in der heutigen Zeit bezeichnet: „Solche Dinosaurier wie mich gibt es kaum noch, die nach so langer Zeit immer noch bei derselben Firma arbeiten.“
Das Gespräch mit Thomas Jablonski macht insbesondere älteren Menschen Mut, die den Wunsch in sich tragen, das Abitur nachzuholen. Er beschreibt, dass die Eingliederung in eine Gruppe mit meist jüngeren Studierenden völlig problemlos geklappt habe. Kleine Sticheleien aufgrund seines Alters musste er sich dennoch anhören: „Viele sagten beispielsweise immer wieder im Geschichtsunterricht, dass ich bei verschiedenen Themen Zeitzeuge wäre.“ Doch Thomas Jablonski muss selbst lachen, als er von diesen Sprüchen erzählt.
Bei allem Spaß wird Thomas Jablonski jedoch bei einer Frage sehr ernst. Der Zweite Bildungsweg ist nicht unumstritten und gerade vor dem Hintergrund von Maßnahmen nach der PISA-Studie wird darüber debattiert, ob der Zweite Bildungsweg überhaupt noch benötigt wird. Dies nimmt er zum Anlass sich vehement für diese Möglichkeit auszusprechen, wobei er seine eigene Situation als Ausnahme betrachtet: „Für die jungen Leute, die vielleicht aus familiären oder schulischen Gründen ihren Abschluss nicht auf dem Ersten Bildungsweg erwerben konnte, ist es doch die einzige Möglichkeit, an einen höheren Bildungsabschluss zu kommen. Diese Möglichkeit muss bleiben.“
Nun hat Thomas Jablonski seine Abende wieder zur freien Verfügung, doch blickt er positiv auf seine Zeit am Abendgymnasium zurück: „Ich hatte eine sehr gute Zeit hier. Das Abendgymnasium ist ein Bestandteil meines Lebens und wird nicht mehr gelöscht werden.“ Er freut sich bereits auf Schulfeste, bei denen er auf jeden Fall die ehemalige Schule besuchen möchte. Doch viel Zeit bleibt ihm wohl auch in Zukunft nicht, denn bereits im April beginnen die Seminare an den Universitäten und wer Thomas Jablonski erlebt, der sieht, dass dieser Mann noch einiges erreichen möchte.
Für diejenigen, die das gesamte Gespräch nachlesen möchten, folgt hier das Interview vom 04. Februar 2015:
Nikolaus-Groß-Abendgymnasium (NGA):
Wie kam es zu der Entscheidung, Ihr Abitur nachzuholen?
Thomas Jablonski:
Ich habe eigentlich immer schon mit dem Gedanken gespielt, mich diesbezüglich zu informieren. Ausschlaggebend war schließlich ein Arbeitskollege, der neu in meiner Firma angefangen hat und davon erzählte, dass er sein Abitur vor dem Einstieg ins Berufsleben gemacht habe. Da hat es bei mir Klick gemacht und ich habe mich verstärkt um Informationen gekümmert, wo und wie ich das Abitur nachholen kann.
NGA:
Wie sind Sie dann auf das Nikolaus-Groß-Abendgymnasium gekommen?
Thomas Jablonski:
Da ich schon immer in Gelsenkirchen gelebt habe, bin ich zunächst zum Gelsenkirchener Abendgymnasium gegangen. Dort habe ich mich informiert, weil ich dort den Schulabschluss machen wollte. Die Beraterin in Gelsenkirchen verdeutlichte mir damals, dass der Unterricht an dieser Schule nur abends stattfindet.
Für mich als Schichtarbeiter wäre diese Regelung schlecht gewesen, weil ich auch Mittagsdienste habe, die erst um 14 Uhr losgehen. Für mich wäre es an diesen Tagen nicht möglich gewesen, am Unterricht teilzunehmen. Die Dame verwies mich dann sofort auf das Nikolaus-Groß-Abendgymnasium in Essen, weil dort Schichtdienst angeboten würde.
Ich war sofort Feuer und Flamme und habe sogleich dort angerufen. Es ging dann ganz schnell. Kurz darauf hatte ich ein Gespräch mit der Beratungslehrering, die mir alle wichtigen Informationen über den Schulbesuch gegeben hat, aber auch die Voraussetzungen für den Schulbesuch mitgeteilt hat. Da ich diese Voraussetzungen alle erfüllte, habe ich mich sofort angemeldet. Das war knapp sechs Monate, bevor der Kurs losging. Mir wurde angeboten, dass ich gleich im ersten Semester starten könne, da ich aber so lange aus der Schule heraus war, wollte ich erst einmal im Vorkurs beginnen.
NGA:
Warum haben Sie Ihr Abitur nicht auf dem Ersten Bildungsweg abgelegt?
Thomas Jablonski:
Ich habe 1980 auf der Realschule meine Mittlere Reife gemacht. Ich bin danach noch auf ein Gymnasium gegangen und habe es in der elften Klasse probiert, aber ich hatte dann eine Phase der Nichtfindung. Auf Deutsch gesagt, war ich faul, habe die Schule dann abgebrochen und eine Lehre begonnen. Damit war der Weg zum Abitur erst einmal versperrt. Im Alter wollte ich austesten, ob ich es schaffen kann und es hat am Ende geklappt.
NGA:
Sie sagten, Sie haben schon länger mit dem Gedanken gespielt, das Abitur nachzuholen. Ab wann haben Sie das ernsthaft überlegt?
Thomas Jablonski:
Als ich vor zehn Jahren die Vierzig überschritten habe, habe ich überlegt, dass etwas passieren müsse. Ich habe in der Lehre Elektriker gelernt und in einer Fortbildung den staatlich geprüften Elektrotechniker gemacht. In diesem Beruf arbeite ich auch heute noch und bin auch heute noch in der gleichen Firma, bei der ich damals vor 35 Jahren angefangen habe. Solche Dinosaurier wie mich gibt es kaum noch, die nach so langer Zeit immer noch bei derselben Firma arbeiten.
NGA:
Sie haben mit dem Vorkurs begonnen und haben wahrscheinlich sehr früh gemerkt, wie anstrengend die Verbindung von Beruf und Schule ist?
Thomas Jablonski:
Ich habe das eigentlich gut verkraftet. Sicher musste man sich manchmal zwingen, aber es war über den gesamten Zeitraum gesehen eine ausfüllende Sache.
NGA:
Gab es denn Momente, in denen Sie alles hinwerfen wollten?
Thomas Jablonski:
Die gab es mit Sicherheit. Ich habe aber immer den inneren Schweinehund überwunden, weil ich immer das Ziel im Auge hatte. Ich wollte das Abitur irgendwie schaffen. Dass ich hinterher auch daran geglaubt habe, dass ich es schaffen kann, war ausschlaggebend dafür, dass die Prüfungen gut gelaufen sind. Danach möchte ich vielleicht sogar noch mehr erreichen. Deswegen würde ich mich freuen, wenn ich ein Studium anhängen könnte.
NGA:
Was für ein Studium wollen Sie beginnen?
Thomas Jablonski:
Ich brauche keinen Abschluss, mit dem man noch Geld verdienen kann. (lacht) Es geht also nicht in die Richtung Jura oder Medizin. Dafür wäre ich zu alt. Da ich schon immer ein Faible für Geschichte hatte, würden mich die Bereiche Geschichte und Kunstgeschichte am meisten interessieren. Da versuche ich nun, einen Studienplatz zu bekommen.
NGA:
Würde Ihr Arbeitgeber Ihnen dies ermöglichen?
Thomas Jablonski:
Nachdem ich das Abitur geschafft habe, hat er schon eine Andeutung gemacht. Der Arbeitgeber war sicher überrascht, dass ich dieses Ziel erreicht habe. Deswegen denke ich, dass mein Chef aufgeschlossen wäre, wenn ich ein Studium absolvieren möchte. Es muss sich selbstverständlich mit der Arbeit vereinbaren lassen.
Die Firma ist mir bei vielen schulischen Terminen, beispielsweise bei den Klausuren, sehr entgegengekommen. An diesen Tagen konnte ich oft frei nehmen, sodass die Vereinbarkeit von Beruf und Schule sehr gut geklappt hat.
NGA:
Sie selbst sagten, dass die Firma überrascht war. Wie reagierten denn Freunde und Familie, als sie von Ihrer Entscheidung hörten, das Abitur nachzuholen.
Thomas Jablonski:
Die meisten fixierten sich auf mein Alter. Erst einmal fragten sich viele, warum man in dem Alter noch sein Abitur nachholen wolle. Hinterher fragten aber alle nach meinen Ergebnissen. Ich konnte dann immer davon berichten, dass ich wieder eine Etappe geschafft habe. Hinterher sind die meisten schon davon ausgegangen, dass am Ende ein positives Ergebnis kommt. Ich konnte also nur noch gewinnen. (lacht)
NGA:
Wie war der Rückhalt im privaten Umfeld? Es ist für alle anderen wahrscheinlich auch nicht einfach gewesen, Sie noch seltener durch Arbeit und Schule zu sehen.
Thomas Jablonski:
Der Rückhalt war toll. Immer wieder wurde ich bestärkt, weiter zur Schule zu gehen.
NGA:
Wenn Sie sich an die Zeit im Vorkurs zurückerinnern: Wie schwierig war es sich in der Gruppe, die vermehrt aus sehr jungen Leuten bestand, einzugliedern?
Thomas Jablonski:
Ich habe es mir vorher schwierig vorgestellt und als ich anfing, ist es ganz einfach gewesen. Es gab keine Generationenkonflikte. Die jüngeren Studierenden sticheln schon einmal ganz gerne. Viele sagten beispielsweise immer wieder im Geschichtsunterricht, dass ich bei verschiedenen Themen Zeitzeuge wäre. Das war aber ziemlich lustig, so im Gespräch zu bleiben. (lacht) Diese Dinge bleiben haften. Ich kam mit den anderen Studierenden wunderbar klar.
NGA:
Haben Sie das Gefühl, dass Sie aufgrund Ihrer Lebenserfahrung eine andere Einstellung gegenüber Schule hatten als jüngere Studierende?
Thomas Jablonski:
Ich denke, dass das ein großer Vorteil war. Das kann ich an mir selbst erläutern. Ich selbst hätte es im Alter von 25 vielleicht gar nicht geschafft. Ich wollte lernen. Außerdem wollte ich Sachen, die ich wusste, preisgeben und in den Unterricht einbringen. Das hat mir wirklich Spaß gemacht.
Ich glaube, dass man ein gewisses Maß an Allgemeinwissen mitbringen muss, um glücklich und erfolgreich teilnehmen zu können. Dies habe ich mir durch Erfahrungen oder durch Bücher, die ich in der Zeit verschlungen habe, angeeignet.
NGA:
Wie sehen Sie Ihre Zeit am Abendgymnasium im Rückblick?
Thomas Jablonski:
Ich hatte eine sehr gute Zeit hier. Das Abendgymnasium ist ein Bestandteil meines Lebens und wird nicht mehr gelöscht werden. Ich werde bestimmt immer wieder zur Schule zurückkommen.
NGA:
Für wie wichtig halten Sie den Zweiten Bildungsweg?
Thomas Jablonski:
Ich selbst sehe mich im Zweiten Bildungsweg als Ausnahme. Für die jungen Leute, die vielleicht aus familiären oder schulischen Gründen ihren Abschluss nicht auf dem Ersten Bildungsweg erwerben konnte, ist es doch die einzige Möglichkeit, an einen höheren Bildungsabschluss zu kommen. Diese Möglichkeit muss bleiben und deswegen darf man diesen Bildungszweig nicht abschaffen.
NGA:
Viele Studierende beschreiben, dass es neben anderen Problemen auch daran lag, dass man im Teenageralter an alles andere als an die Schule dachte. Es ist auch die Frage, ob man selbst beim besten Konzept und Lehrer wirklich alle Jugendlichen erreichen kann.
Thomas Jablonski:
Ich bewundere die Leute, die diesen Weg durchgezogen haben. Man hat allerdings auch eine hohe Zahl von Studienabbrechern. Dies wollte ich in meiner Jugend nicht erleben. Ich habe eine Ausbildung gemacht und mein eigenes Geld verdient. Auto und Wohnung, also die Dinge, die man damals wollte, konnte ich mir leisten. Ich wollte nicht von meinen Eltern abhängig sein oder mit 30 noch zu Hause wohnen. Das waren für mich damals ausschlaggebende Argumente, die Schule ruhen zu lassen. Im Alter wollte ich es mir noch einmal beweisen.
NGA:
Vielen Dank, Herr Jablonski, für das interessante Gespräch.