Abiturrede Dezember 2010

von | 19.12.2010

Rede des Schulleiters Bernhard Nadorf

Auf der Abiturfeier hielt der Schulleiter folgende Rede:

Liebe Abiturientinnen und Abiturienten, Liebe Angehörige und Freunde unserer Studierenden, Liebe Kolleginnen und Kollegen,

als Leiter des Nikolaus-Groß-Abendgymnasiums begrüße ich Sie alle ganz herzlich zu unserer gemeinsamen Abiturfeier im Winter 2010.

Die Prüfungsphase liegt hinter uns; heute darf ich Ihnen, liebe Abiturienten Ihre Zeugnisse überreichen. Gemeinsam mit der Kirche im Bistum Essen und mit allen Studierenden und Lehrenden unserer Schule gratuliere ich Ihnen zur bestandenen Reifeprüfung.

Herzlichen Glückwunsch!

Unsere Abiturfeier fällt auf ein Wochenende, an dem das Programmfinale der Ruhr 2010 stattfindet. Am Nordsternpark in Gelsenkirchen, am Dortmunder „U“, im Binnenhafen von Duisburg und hier ganz in der Nähe auf Zeche Zollverein nehmen die Menschen morgen Abschied von einem bewegenden Ausnahmejahr. An uns ziehen noch einmal die Bilder vorbei von den Großevents, von dem Stillleben auf der A 40 über die gelben Fesselballons auf dem Gelände der alten Zechen an der Ruhr bis hin zu dem Day of Song in der Schalke Arena. Eingerahmt wurden die großen Ereignisse durch die vielfältigen kulturellen Veranstaltungen, mit denen sich die Städte des Ruhrgebietes als local heroes und auch die Kirchen mit ihren Orgelkonzerten und spirituellen Tankstellen beteiligten. Überschattet wurden sie von der Tragödie der Love Parade in Duisburg. Die Fröhlichkeit und die Trauer haben gleichermaßen Spuren bei uns allen hinterlassen.

Was ist geblieben von dem Leitwort dieses Jahres: Change through culture; culture through change? Sind die Symbole dieses Jahres so mächtig und tragfähig, dass sie die Abschlussfeiern überdauern werden?

Das Wort „change“ ist – Liebe Festgemeinde – so etwas wie ein zentrales Leitwort in diesen Tagen. Auch Barack Obama, die Studierenden des Grundkurses Englisch werden sich an ihn erinnern, hat das Motto „change we can believe in“ als Motto für seinen Wahlkampf gewählt.

Man kann über den Wandel philosophieren, man kann ihn aber auch praktizieren – mit allen Ungewissheiten und Risiken. Sie, liebe Studierende, gehören zu denjenigen, die ihn vor zwei oder drei Jahren gewagt haben. Sie haben sich auf einen Weg gemacht, dessen Ende unsicher war und vor dem Sie vielleicht auch mancher gewarnt hat. Diejenigen, die Sie auf diesem Weg begleitet und immer wieder ermutigt haben, sind heute hier: Ihre Verwandten, Freunde und auch Ihre Lehrerinnen und Lehrer.

33 Abiturientinnen und Abiturienten haben 33 unterschiedliche und individuelle Motive, dieses Risiko und diese persönliche Belastung eines berufsbegleitenden Studiengangs auf sich zu nehmen. Ausgangspunkt ist häufig die Unzufriedenheit mit dem Schulabschluss im ersten Bildungsweg und der damit verbundenen begrenzten beruflichen Perspektive und dem Wunsch, mit der Abiturprüfung an einer Schule des Zweiten Bildungsweges die Grundlage für eine neue Perspektive in der Zweiten Berufshälfte zu legen. Die Männer und Frauen, die diesen Weg erfolgreich gegangen sind, haben diese Republik geprägt. Ich erinnere exemplarisch an unseren früheren Bundeskanzler Gerhard Schröder, der als Einzelhandelskaufmann begann, sein Abitur am Abendgymnasium Bielefeld machte und zum Kanzler der Bundesrepublik Deutschland wurde.

Die Amerikaner nennen diesen sozialen Aufstieg „From the dishwasher to the millionaire“ und wenn man das Wort „dishwaher“ durch „Black American child“ und das Wort „millionaire“ durch „American President“ ersetzt, dann gewinnt man eine Vorstellung davon, wie sich Menschen wie Barack Obama durch change through school and education ihren persönlichen dream verwirklichen können.

Leider hat uns die letzte PISA Studie wieder einmal schmerzhaft vor Augen geführt, wie stark die Bildungschancen in Deutschland immer noch von der persönlichen Herkunft geprägt sind. Gerade heute brauchen wir daher „theatre of dreams“, für Menschen, die aus unterschiedlichen Gründen in ihren Bildungschancen benachteiligt sind. Zwei dieser theatres befinden sich hier an der Franziskanerstraße: Die UNESCO Schule, die insbesondere Kindern mit Migrationshintergrund eine Chance bietet, von anderen Schulformen auf ein Gymnasium zu wechseln und einen höheren Schulabschluss zu erwerben und unsere Schule.

Das Aufbaugymnasium wurde in der vergangenen Woche Opfer eines feigen nächtlichen Einbruchs, bei dem die Täter zum Zeichen ihrer Gesinnung Hakenkreuzzeichen hinterlassen. Es liegt daher der Verdacht nahe, dass diese Schule ausgewählt wurde, um diese Schule mit diesem besonderen Profil anzugreifen. Ich habe daraufhin den Schulleiter, Herrn Kleine-Möllhoff, besucht und ihm die Solidarität unserer Schulgemeinde versichert.

Beide Schulen befinden sich zwischen der A 40 und der Bahnlinie, die den Essener Norden vom Essener Süden trennt. Aus vielen soziologischen Untersuchungen wissen wir, dass Essen die deutsche Großstadt ist, in der Kinder und Jugendliche am stärksten benachteiligt sind, wenn sie in einem bildungsfernen Stadtteil leben.

Die Kirche im Bistum Essen hat gerade in diesem Stadtteil und an dieser Stelle ein theatre of dreams eingerichtet und damit ihre Solidarität mit diesen Menschen zum Ausdruck gebracht.

Liebe Abiturientinnen und Abiturienten: Die allgemeine Hochschulreife kann für einige von ihnen schon die Erfüllung Ihres dream sein; für andere ist sie der Schlüssel für die Tür zu einem anderen dream – im Beruf oder auch in der Hochschule. Was benötigt man für ein erfolgreiches Hochschulstudium? Sicherlich sind fundierte fachliche Kenntnisse notwendig – im Deutschen, in der Fremdsprache, in der Mathematik, in den Naturwissenschaften, in Fächern wie Geschichte, Religion oder Philosophie. Darüber hinaus zählen Querschnittskompetenzen wie Teamfähigkeit, Zeiteffizienz und Arbeitsorganisation.

Wenn wir allerdings die Qualifikation, die Sie jetzt erworben haben, als Allgemeine Hochschulreife bezeichnen, dann ist dies mehr als die Summe der Punkte, die Sie bei einer Textanalyse erworben haben.

Bildung und Reife sind Begriffe, die sich in diesem Prüfungssystem, das in Sonderheit die intellektuellen Fähigkeiten bewertet, nicht oder jedenfalls vollständig zu erfassen sind. Sie entziehen sich der Messung und damit auch der Bewertung durch eine Note.

In den seltensten Fällen studieren unsere Schüler und Studierenden Fächer, die sie auch in der Schule belegt und als Prüfungsfach abgeschlossen haben, und wenn dann haben die Lerninhalte an der Hochschule und an der Schule häufig nicht viel miteinander zu tun. Ein Jurist studiert ein Fach, das im Fächerkanon einer Schule nicht vertreten ist, ebenso Fächer wie Volkswirtschaft oder Psychologie.

Was Schule und Hochschule miteinander verbindet, sind Fähigkeiten, die sich einer isolierten fachbezogenen Bewertung entziehen.

Und für uns im Nikolaus-Groß-Abendgymnasium kommt der Mehrwert hinzu, dass wir uns Juristen, Psychologen, Mediziner und andere Akademiker wünschen, die ihr Handeln an grundlegenden ethischen Maßstäben orientieren.

Wir brauchen auch in der heutigen Gesellschaft Menschen wie Nikolaus Groß, die mit Rückgrat und Zivilcourage handeln und ihre christlichen Grundwerte auch dann vertreten, wenn die Würde des Menschen verletzt wird.

Ich wünsche Ihnen, Liebe Abiturientinnen und Abiturienten, dass Sie – wie die Kulturhauptstadt Essen – auch weiterhin Ihren way of change mit Durchhaltevermögen weitergehen und sich Ihren persönlichen Traum – das muss nicht Bundeskanzler oder Präsident sein – erfüllen können.

Dazu drücke ich Ihnen beide Daumen. Frank Sinatra hat einmal über die Stadt New York gesagt: “If you can make it there, you can make it anywhere“. Das könnte man auch auf Ihre Zeit am Abendgymnasium und auf Ihre Perspektive für ein Hochschulstudium übertragen.

Liebe Abiturientinnen und Abiturienten, Liebe Angehörige und Freunde unserer Studierenden, Liebe Kolleginnen und Kollegen,

Am Beginn eines Abends, von denen viele von Ihnen, vor allem aber unsere Studierenden geträumt haben, wünsche ich Ihnen eine schöne Feier in unserem Hause, ein gesegnetes Weihnachtsfest und ein gutes und gesundes neues Jahr 2011.