Abiturrede im Juni 2008

von | 07.06.2008

Auf der Abitur-Abschlussfeier am 5. Juni 2008 hielt der Schulleiter Bernhard Nadorf die folgende Abschlussrede:

Liebe Studierende, Liebe Angehörige unserer Studierenden, Liebe Kolleginnen und Kollegen,

im Namen der Schulgemeinde des Nikolaus-Groß-Abendgymnasiums begrüße ich Sie alle sehr herzlich zu unserer Abiturfeier.

Die letzten mündlichen Prüfungen liegen hinter uns, heute feiern wir unseren gemeinsamen Erfolg. Im Mittelpunkt dieser Feier stehen Sie, liebe Abiturienten. Wir gratulieren Ihnen sehr herzlich zur bestandenen Reifeprüfung und wünschen Ihnen alles Gute und Gottes Segen für Ihren künftigen Lebensweg.

Die Abiturientia 2008 ist in mehrfacher Hinsicht eine besondere. Das Jahr 2008 steht im Zeichen unseres Bistumsjubiläums. Das Bistum Essen wurde im Jahre 1958 gegründet. Unser Ruhrbistum ist ein soziales Bistum. Und so ist auch das Abendgymnasium, die erste Schule unseres Bistums, ein Beispiel für das soziale Engagement der Kirche für die Menschen in dieser Region. Ein Bildungsangebot, um Menschen, die aus unterschiedlichen Gründen im ersten Bildungsweg einen Schulabschluss nicht erreicht haben, diese zweite Chance für eine schulische Qualifikation zu eröffnen.

Sie liebe Studierende, gehören zu diesen Menschen, und ich denke, dass es an diesem Wochenende, an dem wir dieses Jubiläum mit einem großen Fest in der Innenstadt feiern, wichtig ist, daran zu erinnern, auf welchen geistigen Schultern wir stehen.

Unsere Schule liegt direkt an der Bahnlinie, im Herzen des Ruhrgebietes; sie verbindet damit nicht nur den Essener Süden mit dem Essener Norden und zeigt damit symbolhaft, dass das Abendgymnasium eine Schule ist, die den sozialen Ausgleich fördert und den Arbeiterkindern aus Stadtteilen wie Stoppenberg und Katernberg genauso eine Bildungsperspektive bietet wie denen, die aus den Schulen im Essener Süden zu uns kommen.

An Hand der Geburts- und Wohnorte unserer Studierenden können wir darüber hinaus ablesen, dass das Nikolaus-Groß-Abendgymnasium keine Essener Stadtteilschule ist. Sie ist eine Schule für das Ruhrbistum und für das Ruhrgebiet. Indem sie offen ist für Studierende aus vielen Ländern der Erde, ist sie auch eine Schule, die der Integration von Menschen verpflichtet ist, die neu in diese Region kommen.

Dass unser Ruhrbistum ein soziales Bistum ist, haben die drei Bischöfe von Essen immer wieder betont. Es ist für die Menschen da, die in unserer Gesellschaft durch das Netz der sozialen Sicherheit fallen, mit seinen Suppenküchen für Bedürftige, mit der Bahnhofsmission, mit seinem Engagement für die Lehrstellen und mit der globalen Sorge für die Armen in der Bischöflichen Aktion Adveniat.

Das Nikolaus-Groß-Abendgymnasium, die Schule der Zweiten Chance, ist eine Facette im sozialen Engagement dieses Bistums.

Eine zweite Besonderheit, die unsere Abiturientia von denen in den Jahren von 1959 bis 2008 wesentlich unterscheidet ist die Beteiligung unserer Studierenden an der ersten Zentralabiturprüfung. Mit der erfolgreichen Teilnahme an dieser Prüfung haben Sie, liebe Studierenden und Lehrenden unter Beweis gestellt, dass Sie in der Lage sind, unter den besonders schwierigen Rahmenbedingungen des berufsbegleitenden Unterrichts gleichwertige Leistungen zu erbringen.

Die zentral wichtige Botschaft dieser Abiturprüfung lautet daher: Die Schulen des Ersten und des Zweiten Bildungsweges begegnen sich auf gleicher Augenhöhe, und wenn Sie ein Zeugnis dieser Schule erhalten, dann ist dies gleichwertig mit allen anderen Zeugnissen im Land; dies war zwar schon immer so, und die Biographien unserer auch im Studium erfolgreichen Abiturienten über die letzten 50 Jahre belegen das; aber nach dem alten lateinischen Prinzip „quod erat demonstrandum“ ist es jetzt auch mit dem offiziellen Siegel der zentralen Abiturprüfung bestätigt.

Und damit ist auch bestätigt, dass Menschen, die zu uns von der Hauptschule oder aus sozial benachteiligten Stadtteilen kommen, an dieser Schule eine gleichwertige Hochschulreife erreichen können – wie Norbert Blüm, Gerhard Schröder und viele andere, die vorher diesen Weg gegangen sind.

Unsere Abiturklasse ist – last but not least – auch deshalb eine besondere, weil sie die Prüfung mit einem Abigag abgeschlossen hat – und die Cheforganisatoren dieser spektakulären Veranstaltung sitzen ja hier vor uns. – ein, wie Ihre Kursstufenleiterin Frau Hoffmann bemerkte, eindrucksvoller event und ein Beleg für das kreative Potential, das in unseren Studierenden steckt.

Es gehört auch zu den Besonderheiten dieser Klasse, die ich in den vergangenen 3,5 Jahren als Klassenlehrer und Fachlehrer in drei Fächern begleitet habe, dass sie immer wieder im Mittelpunkt unserer pädagogischen Fürsorge war. Ich möchte allen Kolleginnen und Kollegen danken, dass sie durch viele persönliche Beratungsgespräche mit dazu beigetragen haben, dass wir heute gemeinsam das Abitur feiern.

Sicherlich hat auch die gemeinsame Herausforderung der zentralen Abiturprüfung mit dazu geführt, dass wir an unseren Schulen immer stärker das Gefühl entwickeln, dass wir als Lehrende und Studierende eine gemeinsame Verantwortung für die Prüfungsleistungen tragen.

Mancher von Ihnen, liebe Studierende, ist in der Abiturprüfung über sich hinausgewachsen, und dafür möchte ich Ihnen ausdrücklich meine persönliche Hochachtung aussprechen.

Liebe Studierende, in diesen Tagen gehen meine persönlichen Erinnerungen zurück an das Jahr 1968, als ich meine Abiturprüfung abgelegt habe. Im September dieses Jahres wird mich eine Klasse besuchen, die an unserer Schule auch in diesem Jahr das Abitur bestanden hat. Es ist hier weder der Ort noch die Zeit, über die politische Bedeutung des Jahres 1968 zu sprechen.

Im Vergleich der Jahre 1968 und 2008, in dem auch mein Sohn die Reifeprüfung abgelegt hat, sind die zeitgebundenen Zukunftsperspektiven der Abiturienten sicherlich unterschiedlich. Als wir damals vor 40 Jahren die Schule verlassen haben, konnten wir studieren, was wir wollten, ein Numerus clausus war so gut wie unbekannt, und wir konnten auch sicher sein, dass wir nach dem Studium eine gute und sichere Perspektive haben würden – auch mit einem esoterischen Studienfach mit einem esoterischen Berufsbild. Die Globalisierung war ein Fremdwort und viele der sog. 68er haben es sich in lebenslangen Beamtenverträgen bequem gemacht – mit der Aussicht auf eine gute Pension.

Wie wird es für Sie sein im Jahre 2048? Wenn Sie in diesem Jahr auf die vergangenen 40 Jahre so zurückblicken wie heute auf das Jahr 2008, dann werden Sie vielleicht feststellen, dass vieles für Sie nicht so einfach war wie für die Generation Ihrer Großväter und Großmütter.

Aber lassen Sie sich nicht von finsteren Visionen der Science fiction Propheten paralysieren. Eine spannende Zukunft liegt vor Ihnen, und das Zeugnis, das Sie heute erhalten, das Ihnen nicht nur bescheinigt, welche Qualifikation Sie erworben haben, sondern wie Sie diese Qualifikation berufsbegleitend erworben haben, ist wie ein Schlüssel zu einer neuen Tür oder wie ein Passwort für eine neue Computerdatei.

Ich wünsche Ihnen allen, dass die Tür, die Sie mit diesem Schlüssel öffnen, Sie auf einen neuen Weg führen wird – im Beruf oder auch in einem Studium an der Universität.

Wir, Ihre Lehrerinnen und Lehrer wünschen Ihnen auf diesem Wege viel Erfolg und Gottes Segen.