Auf der Abitur-Abschlussfeier hielt der Schulleiter Bernhard Nadorf die folgende Rede:
Liebe Abiturienten, Liebe Freunde und Angehörige unserer Studierenden, Liebe Kolleginnen und Kollegen,
Der Prüfungsstress liegt hinter uns. Heute feiern wir gemeinsam unseren Erfolg. Im Namen der Schulgemeinde und im Namen unseres Diözesanadministrators Weihbischof Franz Vorrath gratuliere ich Ihnen, liebe Abiturienten sehr herzlich zu der bestandenen Abiturprüfung. Ich wünsche Ihnen alles Gute und Gottes Segen für Ihren zukünftigen Lebensweg.
Die Zeit, die Sie an unserer Schule verbracht haben, ist ein Teil Ihrer Biographie und Ihrer Bildungsbiographie. Ein Blick in Ihre Personalunterlagen zeigt: Viele Erfahrungen mit unterschiedlichen Schulen im ersten und zweiten Bildungsweg liegen hinter Ihnen.
Ihre schulische Laufbahn begann vor vielen Jahren mit einer großen Zuckertüte am Beginn der Grundschule, dann haben Sie eine weiterführende Schule besucht, einige von Ihnen die Hauptschule, die Gesamtschule, andere die Realschule oder das Gymnasium oder auch alle hintereinander. Viele Studierende des Abendgymnasiums haben die Erfahrung der Aussonderung gemacht, weil sie vom Gymnasium zur Realschule und auch zur Hauptschule gewechselt haben – so wie z.B. einer der bekanntesten Ehemaligen dieser Schule, Dr. Stratmann – wie auf seiner homepage nachzulesen.
Nach dem Ende Ihrer schulischen und beruflichen Ausbildung haben Sie dann erfahren, wie wichtig eine gute schulische Qualifikation für Ihr weiteres Leben ist. In diesem Jahr kam ein Bewerber zu mir, der mir mit dem Ausdruck der persönlichen Entschuldigung ein Zeugnis vorlegte, das er 100x an unterschiedliche Personalabteilungen eingereicht und 100x wieder zurückerhalten hat.
Seine Worte: „Ich habe den Eindruck, das ist wie eine Vorstrafe, und ich möchte diese Vorstrafe löschen.“
Das Abendgymnasium ist eine Schule der Zweiten Chance, die vielen Menschen wie auch diesem Studierenden die Möglichkeit bietet, ein neues Zeugnis zu erwerben und damit die jetzt vor Ihnen liegende Phase Ihres Lebensabschnittes positiv zu gestalten.
Es sind Gefühle wie „Eigentlich kannst Du doch mehr“ oder „Das kann doch nicht alles gewesen sein“, die auch Sie vor dreieinhalb bis zwei Jahren zu uns geführt haben. Und in einem ersten Beratungsgespräch haben wir über Ihre persönlichen Träume und Visionen gesprochen: Über die Perspektiven eines Hochschulstudiums, über die Verbesserung Ihrer beruflichen Situation oder über Ihr das Abitur als Teil Ihres Ego, wie es eine kanadische Studierende vor ca zwanzig Jahren einmal selbstbewusst formulierte.
Viele Menschen, die das Abendgymnasium besuchen, haben das Gefühl, dass sie mehr können als man ihnen zutraut und sie wollen es sich und anderen beweisen.
Dies ist der Impuls und der Antrieb, der unsere Studierenden motiviert und ermutigt, erhebliche Belastungen auf sich zu nehmen. Sie haben mit der Solidarität in Ihrer Klassengemeinschaft gezeigt, dass man dieses Ziel erreichen kann, wenn man sich gegenseitig hilft und unterstützt. Das Gefühl, dass diese Solidarität gerade in ihrer Klasse eine tragfähige Grundlage für Ihren schulischen Erfolg bildet, habe ich immer gehabt, ich war schließlich einmal Ihr Klassenlehrer. Und dass Sie gemeinsam feiern können, das haben Sie ja bereits bei der Generalprobe der Feier der Fachhochhochschulreife gezeigt.
Mit den Erfahrungen, die Sie an unserer Schule in den vergangenen Jahren gemacht haben, stehen Sie gerade in diesem Jahr, in dem wir das 50jährige Bestehen unserer Schule begehen, in einer langen Tradition von Abiturienten, die das Abendgymnasium seit seiner Gründung im Jahre 1959 besucht haben. Sie sind als Mauerer, Bergarbeiter oder Stahlarbeiter eingetreten, heute sind sie Ärzte, Journalisten und Notare.
Ich kenne diese Schule aus einer doppelten Perspektive: Als Lehrer seit 30 Jahren, als Schulleiter seit 15 Jahren und als Ehemann einer Studierenden, der mein Vorgänger im Amt, Herr Graebe vor genau 25 Jahren hier in dieser Aula das Abiturzeugnis überreicht hat und ich glaube aus den vielen Gesprächen, die ich auch mit unseren Ehemaligen geführt habe, weiß, was Menschen als Kinder und auch als Erwachsene von der Schule erwarten:
Sie erwarten (1), dass es ihnen Freude macht, die Schule zu besuchen. Leider ist davon in der Medienwelt heute kaum die Rede. Schlagzeilen wie „Gewalt“, Attentate“, „Überforderung“, „Stress und Nachhilfeschulen“, „Spickmich“ oder „Mobbing“ prägen die Außenwahrnehmung unserer Schulen. Ich will nicht das Bild einer heilen Welt zeichnen, aber es sei daran erinnert, dass viele junge Menschen gerne zur Schule gehen und auch gute schulische Qualifikationen erreichen. (2) ist eine unverzichtbare Voraussetzung für eine gute Schule, dass sie ein gutes Lernklima hat und damit auch denjenigen Kindern und Jugendlichen eine Heimat bietet, die sie in ihren Familien häufig nicht mehr finden. Das Lernklima ist zum dritten dadurch geprägt, dass jeder Studierende und jeder Schüler in die Solidarität der Klassengemeinschaft eingebunden und nicht ausgegrenzt ist. Und schließlich, viertens, im Mittelpunkt der Schule steht das personale Verhältnis zwischen dem Lehrer und dem Studierenden. Nur ein Lehrer, dem jeder einzelne Studierende wichtig ist und dem er mit Zuwendung und Liebe begegnet, hat auch das Interesse an einer persönlichen Förderung, die natürlich auch immer mit den notwendigen Anforderungen verbunden ist.
Sie werden, Liebe Festgemeinde, festgestellt haben, dass ich mich nicht an der Schulstrukturdebatte beteilige, sondern Kriterien für die Qualität von Bildung und Erziehung anspreche, die global und zeitlos sind.
Lehrerinnen und Lehrer, Studierende und Schüler aller Schulformen versuchen sie zu realisieren.
Das Engagement der Lehrerinnen und Lehrer in dieser Schule wurzelt in ihrer christlichen Identität, die in dieser Region vor 1200 Jahren durch den heiligen Ludgerus begründet wurde. Sie ist darüberhinaus eingebunden in den weltweiten Kontext der katholischen Schulen, zu deren Schülern übrigens auch der jetzige Präsident Barack Obama in Indonesien gehörte.
Gerade vor dem Hintergrund ihrer Geschichte und ihrer globalen Vernetzung haben die katholischen Schulen einen besonderen diakonalen Auftrag, der sich in besonderer Weise auf die Studierenden bezieht, die hier eine zweite Chance wahrnehmen, denn eine dritte Chance gibt es in der Regel ja nicht. Aus der Erfahrung der Klassenleitung insbesondere in der Einführungsphase kann ich sagen, dass wir Netzwerker und auch Sozialarbeiter sind. Unsere Studierende gehören zu einer Generation, deren Lebenserfahrungen sich doch sehr von denen ihrer Lehrer unterscheiden.
Für unsere Generation waren Wörter wie Hartz IV oder Ein Euro Jobs oder ungesicherte und zeitlich befristete Arbeitsverhältnisse Fremdwörter, und doch prägen sie den Alltag unserer Studierenden. Wir müssen diesen Belastungen, die unsere Studierenden mit in den Unterricht hineintragen und die sie begleiten, mit Empathie und Compassion begegnen.
Und so heißt „Weiterbildung in Ihrer Zeit“ wobei das I groß geschrieben ist, dass wir nicht nur den Studierenden, sondern den ganzen Menschen in den Blick nehmen und Formen des Lernens entwickeln, die unsere Studierenden auch außerhalb der Präsenzzeiten, also in ihrer Zeit unterstützen.
Sie, liebe Studierende sind eigentlich die besten Experten in allen Bildungsangelegenheiten, und ich möchte Sie ausdrücklich ermutigen, alle Ihre positiven Erfahrungen und Ihre kritischen Anmerkungen an uns, an die Schulträger und an die Schulaufsichtsbehörden weiterzugeben, und dadurch auch dazu beizutragen, dass Ihre Nachfolger von diesen Anregungen profitieren können.
Mit der Überreichung der Abiturzeugnisse werden Sie liebe Studierende, zu Ehemaligen der Schule. Jede Schule, jedes Bildungssystem braucht Menschen, die mit Ihrer Bereitschaft zur Begegnung, zum guten Rat die Studierenden der nachfolgenden Generation ermutigen und mit ihrer konstruktiven Kritik die Grundlage für eine Innovation legen. Im alten Griechenland gab es den Areopag und in England das House of Lords, und der gerade verstorbene Lord Ralf Dahrendorf hat mich in einem Gespräch im Februar dieses Jahres über die wichtige Rolle dieses Gremiums im Dialog zwischen den Ehemaligen und Jetzigen Politikern aufgeklärt.
Und so darf ich Sie und Ihre Freunde und Angehörigen schon jetzt zu unserem Schuljubiläum am 02. Oktober hier in der Aula einladen und wenn Sie dem Förderkreis unserer Schule (Das ist unser House of Lords) beitreten erhalten Sie auch weiterhin alle Einladungen auf dem Postweg.
Ich gratuliere Ihnen, liebe Abiturienten, noch einmal zu dieser bestandenen Abiturprüfung, am Ende eines Weges, der mit erheblichen beruflichen Belastungen und persönlichen Einschränkungen verbunden war.
Abschließend danke ich den Kolleginnen und Kollegen, die unsere Abiturienten bis zur Allgemeinen Hochschulreife begleitet haben und Ihnen den Angehörigen und Freunde für alle Zeichen der Ermutigung auf diesem Wege.
Ihnen allen wünsche ich eine unvergessliche Feier in unserem Hause und Gottes Segen auf all Ihren Wegen.