Abiturrede Januar 2004

von | 09.01.2004

Rede des Schulleiters Bernhard Nadorf

Auf der Abiturfeier hielt der Schulleiter folgende Rede:

Liebe Abiturienten, Liebe Angehörige, Liebe Kolleginnen und Kollegen und – last but not least – liebe Kinder.

Als Leiter des Nikolaus Groß Abendgymnasiums darf ich Sie alle ganz herzlich hier in der Aula unserer Schule begrüßen; Sie, Liebe Abiturienten, die Sie im Mittelpunkt dieser Feier stehen, Sie, liebe Eltern, Geschwister und Ehepartner, die Sie unsere Abiturienten auf diesem nicht immer einfachen Weg begleitet und unterstützt haben und Sie, Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Sie unsere Studierenden auf die Abiturprüfung vorbereitet haben.

Es ist geschafft. Der Prüfungsstress liegt hinter uns. Heute wird gefeiert. Im Namen der Schulgemeinde gratuliere ich Ihnen, liebe Abiturienten, ganz herzlich zu der bestandenen Reifeprüfung. Ich überbringe Ihnen auch Grüße und Glückwünsche von unserem Schuldezernenten, Herrn Nicht und unserem Bischof, Dr. Felix Genn. Sie freuen sich mit Ihnen über den erfolgreichen Abschluss der Abiturprüfung und wünschen Ihnen Gottes Segen für Ihre persönliche Zukunft.

Liebe Festgemeinde: Das neue Jahr ist erst eine Woche alt und wir haben noch die Neujahrsansprachen der Politiker in Erinnerung. Da war viel von Aufbruchstimmung, Optimismus und Zuversicht die Rede. Deutschland – so war der Tenor – bewegt sich und beendet die Paralyse, die dieses Land über viele Jahre gelähmt hat, es geht vorwärts, wir haben die Perspektive, die bedrückenden wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Probleme durch einen dauerhaften Wirtschaftsaufschwung zu überwinden.

Auch Sie, liebe Abiturienten, haben mit dem Besuch des Abendgymnasiums einen neuen Anfang gemacht; heute, wenige Tage nach dem Jahreswechsel, ziehen Sie Ihre persönliche Bilanz, und viele von Ihnen gehen nach dieser Abiturprüfung mit Optimismus und Zuversicht einen neuen Weg im Beruf oder in der Hochschule.

Mit dem Prüfungszeugnis, das Sie heute erhalten, haben Sie eine Teilbilanz der vergangenen 2 bis 4 Jahre in Ihren Händen – und dieser Teil Ihrer Bilanz ist beachtlich. Zwei Studierende haben das Abitur an unserer Schule mit der Note 1,0 abgeschlossen, viele mit Noten im sehr guten Bereich. Aber unsere Gratulation gilt nicht nur ihnen, sondern allen Abiturienten, die heute hier sind. Denn die Leistung spiegelt sich nicht allein in der Durchschnittsnote wider. Jeder von Ihnen, Jede von Ihnen hat unter den spezifischen Bedingungen, die mit dem Zweiten Bildungsweg verbunden sind, den beruflichen, familiären und persönlichen Belastungen, Außergewöhnliches geleistet. Besonders bemerkenswert scheinen mir die Leistungen unserer ausländischen Studierenden. Sie stammen aus Kasachstan, aus Afghanistan, aus der Türkei, aus Polen, aus Gambia, Bosnien-Herzegowina, aus der Ukraine, aus Usbekistan, Italien, Sri Lanka, Marokko und aus Makedonien.

Exemplarisch möchte ich das Abiturzeugnis einer Studierenden aus Kasachstan hervorheben, die im Fach Deutsch die Note Gut erreicht hat – bei einem Abiturdurchschnitt von 1,0. Ich weiß nicht, welche Note wir als Deutsche an einem Abendgymnasium in Alma Ata im Durchschnitt der Fächer oder im Fach Kasachisch bzw. Russisch erreichen würden. Sie, liebe Studierende, haben unsere Schule mit der Eigenart und der Andersartigkeit Ihrer kulturellen und historischen Erfahrungen bereichert, dafür möchte ich Ihnen ganz herzlich danken.

Schließlich gibt es unter uns auch kranke Studierende, die es trotz ihrer gesundheitlichen Probleme geschafft haben, eine gute Abiturprüfung abzulegen. Ganz besonders möchte ich in dieser Stunde auch unseren Mitstudierenden Herrn Julius Hagen in unsere Erinnerung einschließen, der allzu früh verstorben ist und eine große Lücke hinterlassen hat. Wir werden ihn immer im Gedächtnis behalten.

Liebe Festgemeinde: Das Nikolaus-Groß-Abendgymnasium ist eine Schule des Ruhrgebietes. Es liegt im Herzen des Reviers, an einer Bahnlinie, die den Süden Essens von dem Norden trennt; die Studierenden, die wir heute mit dem Zeugnis der allgemeinen Hochschulreife entlassen, kommen aus Essen, Gelsenkirchen, Oberhausen, Mülheim und Duisburg.

So ist das Abendgymnasium, wie die Engländer und Amerikaner sagen wie das Ruhrgebiet selbst ein melting pot, ein Schmelztiegel oder auch ein rainbow, ein Regenbogen, der die Vielfalt unserer Region, aber auch der Einen Welt widerspiegelt.

„Die Kirche kennt keine Fremden“ – so heißt das Leitwort einer Denkschrift der evangelischen und katholischen Kirche Deutschlands – dieses Leitwort gilt auch und gerade für eine Schule, die mit Nikolaus Groß einen Namengeber hat, der weltweit als Symbolfigur gegen Rassismus, Ausgrenzung und Diskriminierung geachtet und verehrt wird.

Auch dies ist ein wichtiger Teil der Bilanz, die Sie heute ziehen, und ich möchte Sie sehr herzlich bitten, diese Erfahrung an die Menschen in Ihren Heimatländern und Heimatkulturen weiterzugeben.

Liebe Abiturienten: Weiterbildung ist ein Prozess, der nicht nur neues Wissen und neue Kenntnisse vermittelt. Sie haben in den vergangenen Jahren hier auch am Abendgymnasium die Erfahrung gemacht, dass es um mehr geht. Um die soziale Kompetenz, also die Fähigkeit mit anderen im Team zu arbeiten, um ein abgestimmtes Timing in der Verbindung von Beruf und Schule und nicht zuletzt um Grundwerte, die auch über die Abiturprüfung hinaus wichtig sind.

Das Wissen, das Sie hier an dieser Schule erworben haben, bildet die Basis für das Hochschulstudium, das Sie jetzt beginnen. Sie werden es fortentwickeln und weiter ausbauen. Die Grundwerte bilden ein festes Fundament, das ein ganzes Leben trägt; sie sind der link zwischen den unterschiedlichen Bereichen Ihrer Biographie und begleiten Sie über das Ende der Schule hinaus. Ich erinnere mich dabei an ein langes Gespräch, das ich mit dem ehemaligen polnischen Außenminister, Professor Wladyslaw Bartoszewski geführt habe. Dieser Mann hat zwei Jahre seines Lebens im Konzentrationslager Auschwitz verbracht, viele Jahre in den Gefängnissen der Kommunisten in Polen, bevor er dann im Mai 1995 am Jahrestag des Kriegsendes eine große Rede zur Versöhnung zwischen Polen und Deutschen vor dem Bundestag hielt. Er sagte: Die Grundwerte, die ich in einer katholischen Schule in Warschau empfangen habe, haben mich ein ganzes Leben geprägt; sie haben mir die Kraft gegeben, nach den negativen Erfahrungen meines Lebens einen neuen Anfang zu machen. Gleiches gilt auch für Nelson Mandela und für seine von Methodisten geleitete Schule in Südafrika.

Es sind Menschen wie diese, die mich in meiner Überzeugung bestärken, dass es eine ganz wichtige Aufgabe von Schulen und Weiterbildungseinrichtungen ist, diese Grundwerte zu vermitteln und zu festigen und damit zu einem gelingenden Leben beizutragen… und ich darf in diesem Zusammenhang darauf hinweisen, dass das Nikolaus-Groß-Abendgymnasium die einzige Schule in Deutschland ist, die dieses Thema in den Mittelpunkt einer ausführlichen Internetpräsentation gestellt hat, die in diesen Tagen ans Netz geht.

Wenn Sie, Liebe Studierende, heute unsere Schule mit dem Zeugnis der allgemeinen Hochschulreife verlassen, dann werden Sie neue Wege gehen und neue Herausforderungen annehmen. Das Studium an der Hochschule wird ihnen neue berufliche Möglichkeiten eröffnen; als Ärzte, Rechtsanwälte oder Lehrer werden Sie auch einen höheren sozialen Status und bessere Verdienstmöglichkeiten haben. Das haben Sie sich durch harte Arbeit verdient, und Sie sollten dabei auch kein schlechtes Gewissen haben. Ich möchte Sie aber ganz herzlich bitten, nicht die Bodenhaftung zu verlieren oder zu vergessen, woher Sie gekommen sind. Gerade in der heutigen Gesellschaft brauchen wir Menschen, die wissen, wie es Menschen geht, die nicht auf der Sonnenseite des Lebens stehen und die sich in diesem Bewusstsein in Solidarität für Andere einsetzen. Unser Bischof, Dr. Felix Genn hat dies in seiner Neujahrspredigt im Essener Dom auf die prägnante Formel gebracht: Das Zeichen des Christen ist nicht der DAX, sondern das Kreuz. Diese Einstellung spiegelt sich zum Beispiel in der Biographie einer Studierenden, die vor zwanzig Jahren als Krankenschwester an unserer Schule das Abitur gemacht hat und heute im gleichen Krankenhaus als Ärztin arbeitet und beide Erfahrungen miteinander verbindet. Sie zeigt sich auch im Lebensweg unseres Namengebers Nikolaus Groß, eines Bergarbeiters, der sich auch nach seiner persönlichen Weiterbildung im 1. Weltkrieg in Politik und Gesellschaft für die Rechte seiner Kollegen eingesetzt hat.

Liebe Abiturienten: Ich möchte Ihnen versichern, dass wir Sie auch auf den unterschiedlichen Wegen, die Sie nach dem Abitur gehen werden, weiterhin begleiten und nach Kräften unterstützen werden. Auch als ehemalige Studierende gehören sie zu unserer Schulgemeinde. Sie sind hier immer ganz herzlich willkommen, zu einem persönlichen Gespräch oder auch zu Klassentreffen oder Schulfesten. Eine wichtige Verbindung zwischen Ihnen und unserer Schule ist neben dem Internet auch der Verein der Freunde und Förderer. In Ihrem Abiturzeugnis finden Sie auch ein Beitrittsformular zu diesem Förderkreis, auf das ich Sie empfehlend und einladend hinweisen möchte.

Lassen Sie mich schließen mit einem Wunsch für Ihre persönliche Zukunft, den ich mit der Strophe eines alten irischen Liedes ausdrücke:

May the road rise to meet you, may the wind be always at your back, may the sun shine warm upon your face the rain fall soft upon your fields and until we meet again may God hold you in the hollow of his hand.

In diesem Sinne wünsche ich Ihnen, liebe Abiturienten, Ihnen, liebe Angehörige und Freunde und Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen, einen schönen Abend (oder auch Morgen) in unserem Hause, ein gutes neues Jahr 2004, vor allem Hoffnung und Zuversicht für Ihren weiteren persönlichen Lebensweg.