Rede des Schulleiters Bernhard Nadorf
Auf der Abiturfeier hielt der Schulleiter folgende Rede:
Liebe Abiturientinnen und Abiturienten, Liebe Angehörige und Freunde unserer Studierenden, Liebe Kolleginnen und Kollegen,
als Leiter des Nikolaus-Groß-Abendgymnasiums begrüße ich Sie alle sehr herzlich zu unserer gemeinsamen Abiturfeier. Im Auftrag unseres Bischofs Dr. Franz Josef Overbeck gratuliere ich Ihnen, liebe Studierende, zu Ihrer bestandenen Prüfung.
HERZLICHEN GLÜCKWUNSCH!
Mit diesem Glückwunsch verbinde ich meinen Dank an die Kolleginnen und Kollegen, die unsere Studierenden in der Qualifikationsphase und auch schon vorher begleitet haben und an Sie, liebe Angehörige und Freunde, die Sie unsere Studierenden auf diesem Wege durch alle Höhen und Tiefen hindurch ermutigt und unterstützt haben. Viele von Ihnen sind heute zum ersten Mal am Abendgymnasium. Sie sind uns herzlich willkommen. Ohne Ihre Solidarität und ohne Ihre Compassion wäre der heutige Abend nicht möglich gewesen.
Dafür möchte ich Ihnen sehr herzlich danken.
Unsere Studierenden haben die Abiturprüfung in diesem Jahr nicht nur alle bestanden, sie haben auch hervorragende Leistungen erbracht. Dies kann man nicht nur daran messen, dass Sie alle gut durchgekommen sind; die Durchschnittsnote aller Abiturzeugnisse liegt bei 2,23; zum Vergleich: Bei dem letzten Prüfungstermin im Sommer 2011 lag die Durchschnittsnote der Gymnasien in Nordrhein-Westfalen bei 2,52, die der Abendgymnasien und Kollegs bei 2,46. Darüber hinaus hat eine Studierende das Abitur mit der Note 1,0 bestanden.
Unsere Dezernentin in der Bezirksregierung Düsseldorf, Frau Monika Lenkaitis, schreibt dazu in einer email vom 20. Juni 2012: „Herzlichen Glückwunsch an die Studierenden und an die Lehrenden! Wenn am Ende solche Ergebnisse möglich sind, erfährt man einmal mehr, dass engagierte und bedachte Förderung Sinn macht.“
Ich möchte diesen Glückwunsch gerne an Sie weitergeben; er gilt jedem von Ihnen für die Anstrengung und den Einsatz, den Sie in den vergangenen Jahren in einem berufsbegleitenden Studium geleistet haben. Der Durchschnitt der Noten in der Abiturprüfung spiegelt das nur ansatzweise wider. Es geht im Kern darum, dass jeder und jede von Ihnen sein und ihr persönliches Potential realisiert hat – unter Berücksichtigung seiner und ihrer Talente und Fähigkeiten und – wie man an unserer Schule hinzufügen muss – auch unter Berücksichtigung individuell unterschiedlicher zusätzlicher familiärer und beruflicher Belastungen.
Das gute Ergebnis bei dieser Abiturprüfung ist nicht nur Ausdruck Ihrer persönlichen intellektuellen Leistungsfähigkeit. Es wäre nicht möglich gewesen ohne die wechselseitige Unterstützung innerhalb der Klassengemeinschaft und ohne die gemeinsame intensive Arbeit mit den Lehrerinnen und Lehrern in diesem Semester.
Im Ruhrgebiet nennen wir das „Solidarität“; dieser Begriff prägt das neue Schulprogramm des Nikolaus-Groß-Abendgymnasiums. Das Prinzip der Solidarität ist deshalb prägend für das Zusammenleben der Menschen in dieser Region, weil es sowohl unter Tage wie auch über Tage entstanden ist, in den Zechen, wo jeder Bergmann auch und vor allem in lebensgefährlichen Situationen im Schacht auf die Hilfe und die Unterstützung seiner Kollegen zählen konnte und zählen musste und in den Zechensiedlungen, dem gemeinsamen Lebensraum der Bergleute und ihrer Familien.
Auch unsere Schule ist nach einem Bergarbeiter benannt: Für den Hauer und späteren Journalisten Nikolaus Groß war die Solidarität mit den ihm anvertrauten Arbeitskollegen selbstverständlich: Sowohl unter Tage wie auch über Tage in seinem Einsatz für die Rechte der Arbeiter als Gewerkschaftler und politischer Redakteur.
Das, was wir hier im Ruhrgebiet mit „Solidarität“ meinen, hat auch Ihre Klassengemeinschaft geprägt und Sie zu guten Leistungen befähigt. Sie haben sich gegenseitig immer wieder ermutigt, die Starken haben den Schwachen geholfen und auch in schwierigen Zeiten des Zweifelns immer wieder mitgezogen.
So ist das überdurchschnittlich gute Abitur, das Sie alle und jeder unter Ausschöpfung seiner und ihrer individuellen Leistungsfähigkeit erreicht haben, nicht nur der Ausdruck Ihrer persönlichen intellektuellen, sondern vor allem auch Ihrer gemeinsamen sozialen Kompetenz.
Die Solidarität in Ihrer Klassengemeinschaft betrifft aber nicht die Studierenden allein; vielmehr haben sich unsere Studierenden auch mit ihren Lehrern verbündet, die ja teilweise auch noch jünger waren als manche unserer Studierenden.
In diesen Tagen der Fußballeuropameisterschaft werden wir manchmal daran erinnert, dass wir als Lehrer wie die Fußballtrainer sind, die versuchen, ihre Mannschaft optimal auf ein Spiel vorzubereiten und zuweilen durch eine heftige Pausenansprache in der Mitte eines Semesters dann die zweite Halbzeit noch einmal zum Guten wenden.
Im Gegensatz zu einem Bundesligatrainer werden wir zwar nicht sofort gefeuert, wenn die Mannschaft auch nur vorübergehend schlecht spielt, aber wir fühlen uns in gleicher Weise für Ihren Erfolg verantwortlich. Wir springen von der Bank auf und jubeln, wenn Sie eine gute Klausur geschrieben haben, und es macht uns keine Freude, wenn Sie schon zur Halbzeit zehn zu null zurückliegen.
Leider hat man in unseren Schulen manchmal den Eindruck, als wenn Trainer und Mannschaft gegeneinander antreten. Sie alle kennen ja die Seiten im Internet, in denen Schüler ihre Lehrer wie an einer Klagemauer kritisch bewerten.
Kritik ist immer dann konstruktiv und weiterführend, wenn wir dem Anderen ins Gesicht sehen und ihm die Chance geben, darauf auch in konstruktiver Weise zu antworten. Dann ist sie weiterführend und wird zur Grundlage der Innovation von Schule und Unterricht.
Immer dann, wenn Lehrerinnen und Lehrer zusammen mit ihren Studierenden die Klausuren und die Leistungsüberprüfungen im Abitur als eine gemeinsame Herausforderung, als einen „challenge“ begreifen und annehmen, den sie auch nur als Verbündete bewältigen können, wird Schule als Solidargemeinschaft sichtbar – so wie die Solidargemeinschaften in unserer Heimat über und auch unter Tage.
Und noch ein zweites ist wichtig für den Erfolg an einer Schule, besonders aber an einer berufsbegleitenden Schule: Das ist die Freude am Lernen.
Der eine oder andere wird bei der Erinnerung an manche Klausur heute Abend leicht seufzen und seine Schulzeit nicht nur mit Freude, sondern auch mit Leid und mancher Enttäuschung verbinden.
Was meine ich mit der Freude am Lernen? Wer heute seinen Fernseher einschaltet oder seine Zeitung aufschlägt, wird grundsätzlich damit konfrontiert, dass die Schule ein großes Problemfeld oder – wie auch Politiker manchmal sagen – eine riesige Baustelle ist; Irritationen über die nicht immer zufriedenstellenden Ergebnisse bei internationalen Vergleichsmessungen, Probleme bei der Integration unserer ausländischen Mitbürger, Klagen über das Mobbing und die Verletzung von Persönlichkeitsrechten oder sogar alarmierende Meldungen über die immer wieder auftretenden Beispiele von Gewaltanwendung bis hin zum Amoklauf scheinen das Bild zu prägen, das die Öffentlichkeit von unseren Schulen hat.
Ich jedenfalls habe in allen Talkshows, die ich im Fernsehen beobachtet habe, noch nie einen Lehrer gesehen, der gesagt hätte, dass er jeden Morgen oder wie bei uns jeden Morgen und jeden Abend gerne zur Schule geht und mit großer Freude mit seinen Schülern und Studierenden zusammenarbeitet.
Ohne die durchaus bestehenden Probleme ignorieren zu wollen, bin ich dennoch der Meinung, dass es uns allen gut tun würde, auch die positiven Leistungen, die wir an unseren Schulen in einem guten Lernklima erzielen, öffentlich und medial wahrzunehmen und zu verstärken: Studierende, die sich gegenseitig unterstützen, Lehrende, die sich um ihre Studierenden sorgen, nicht nur in der Schule, sondern auch in Krankheit oder – wie in Ihrer Klasse – bei der Geburt eines Kindes, der kleinen Marie, die, wie ich gehört habe, schon im Mutterleib von dem Vorbild der Iphigenie gehört hat und jetzt ein sehr ausgeglichenes Baby ist .
Und bei den Schulinspektionen, die durch das Land reisen, sollte vielleicht eine der ersten Fragen sein, ob an dieser Schule auch gelacht wird – und zwar nicht übereinander, sondern miteinander, in den Klassenzimmern und im Lehrerzimmer.
Ich habe mit Ihrer Klasse nur in den letzten Wochen des Semesters 6 zusammengearbeitet – in dem Grundkurs Latein, mit meinen „Latin Lovers“. Aber wann immer ich mit Studierenden aus Ihrem Semester zusammen war, dann kann ich mich daran erinnern, dass wir auch zusammen gelacht haben.
Das Lachen als Ausdruck der Freude in der Klassengemeinschaft und das ermutigende Wort nach einer Niederlage – sie sind prägend für eine solidarische Grundhaltung, die uns Lehrer mit Ihnen, unseren Studierenden verbindet.
Sie sind von besonderer Bedeutung in einer berufsbegleitenden Schule, in der viele Menschen abends von einer Arbeit zu uns kommen, bei der es vielleicht „nicht viel zu lachen“ gab.
Ich wünsche Ihnen, liebe Abiturientinnen und Abiturienten, dass Sie auch in Zukunft das Lachen und die Freude am Lernen nicht verlernen, dass Sie auch auf Ihrem weiteren Weg in Beruf und Hochschule mit Menschen zusammentreffen, für die Solidarität und Ermutigung selbstverständlich sind – als Lernende und als Lehrende.
Als ehemalige Studierende verbindet Sie dieses Band der Solidarität auch mit denen, die heute unsere Schule besuchen. Durch Ihren Erfolg und Ihre sehr hohe Arbeitsmotivation können Sie uns allen auf unserem weiteren Weg Mut machen.
Als Schulgemeinde sind wir eingebunden und gehalten von dem Netz der Solidarität unserer ehemaligen Studierenden.
So finden Sie in Ihrem Abiturzeugnis auch ein Aufnahmeformular in unseren Förderkreis. Da wir hier eine lange Warteschlange haben und zur Zeit einen Aufnahmestopp erwägen, wäre es auf jeden Fall sicherer, Sie würden möglichst bald einen Aufnahmeantrag stellen…
Sie sind an Ihrer ehemaligen Schule immer sehr herzlich willkommen, und ich darf Sie schon jetzt sehr herzlich zu unserem Schulfest in diesem Jahr einladen.
Liebe Abiturientinnen und Abiturienten, Liebe ehemalige Studierende,
eine Abiturklasse hat mir vor langer Zeit einmal gesagt: „Wenn Sie das Abitur geschafft haben, schaffen wir das auch.“ In diesem Sinne möchte ich schließen mit den Worten: „Welcome to the club.“
Im Namen aller, die heute Abend hier sind, gratuliere ich Ihnen allen zu Ihrem großen Erfolg und jedem und jeder von Ihnen zu der bestandenen Abiturprüfung.
Ich verbinde meine Gratulation mit den besten Wünschen für Ihre persönliche und berufliche Zukunft und für eine wunderbare Abiturfeier heute Abend in unserem Hause.
Sie, Ihre Angehörigen und Freunde und Ihre Lehrerinnen und Lehrer haben es sich verdient.