Einer der bekanntesten Absolventen des Nikolaus-Groß-Abendgymnasiums ist der aus Radio und Fernsehen bekannte Dr. Ludger Stratmann, der momentan sein letztes Programm auf der Bühne des Stratmanntheaters präsentiert. Schulleiter Jochen Suthe und Hendrik Stürznickel trafen den ehemaligen Studierenden in seinem zweiten Wohnzimmer und sprachen mit ihm über seinen Lebensweg vom Abendgymnasium über den Beruf als Arzt bis hin zu seinem künstlerischen Wirken.
Nikolaus-Groß-Abendgymnasium (NGA):
In der Besprechung Ihres neuen Programms wurde geschrieben, dass auch Ihre Ausbildung von Ihnen thematisiert wird. (Zitat: „Volksschule, Gymnasium, Realschule, Volksschule, Handelsschule, Tanzschule, Sparkassenlehre, Abendgymnasium und Medizinstudium) War Ihre Zeit am Abendgymnasium so unterhaltsam, dass sie in ein Kabarettprogramm passt?
Dr. Ludger Stratmann:
Ich wollte den Leuten, die mich nun seit 20 Jahren begleiten, meine Biografie nahe bringen. Viele Leute schreiben ihre Biografie, aber ich zeige ihnen diese, als Mann der Bühne, innerhalb meines Programms. Der abschließende Satz geht dabei oft unter: In den verschiedenen Schulen ist für jeden was dabei oder du machst sie alle selbst, dann bist du auch dabei. Das ist die Botschaft darin.
Ich bin früher von einem Schulpsychologen untersucht worden, als ich von der Realschule flog und wieder zur Volksschule gehen musste. Dieser gab meiner Mutter den Rat, dass der kleine Ludger sich für einen Anlernberuf im Bauhandwerk eignen würde. Er meinte, ich sei für leichte Anreicharbeiten geeignet. Wenn Eltern das glauben, dann ist der eigene Weg prädeterminiert. Ich glaube nicht, dass man so etwas voraussagen kann. Um Pilot zu werden, braucht man auch nicht die Fahrradprüfung vorzulegen.
Ich finde das sogar gefährlich, weil ich an mir selbst gesehen habe, dass es Lebensläufe gibt, die erst mit 18 oder 20 Jahren ihren Dreh bekommen. Ich gebe zu, dass ich vorher ein Spinner war. Jerry Cotton, Mickey Maus und Tarzan waren meine Literatur. Da war das Abendgymnasium ein wichtiger Ort für mich.
NGA:
Wie kamen Sie darauf am damaligen Bischöflichen Abendgymnasium Ihr Abitur nachzuholen?
Dr. Ludger Stratmann:
Das war die „Schuld“ der Sparkasse. Die sagten damals, dass mein Denken nicht in deren Gesellschaft passte. Dort ging es nicht mehr weiter. Danach wollte ich etwas für meinen Kopf tun. Dafür war das Abendgymnasium sehr wichtig. Ich habe dort tolle Lehrer gehabt, die ich heute noch liebe. Ich hatte beispielsweise eine tolle Mathelehrerin, die ein Einsehen mit mir hatte, da ich in Mathe eine absolute Niete war. Ich bin in Mathe bis zum Dreisatz mit einer Unbekannten gekommen und bei dieser Unbekannten ist es meistens auch geblieben.
NGA:
Wer hatte den endgültig die Idee, dass Sie zum Abendgymnasium gehen?
Dr. Ludger Stratmann:
Mein Bruder Eckhard hatte bereits das Abitur am Abendgymnasium abgelegt. Er war hinterher Rechtsanwalt und Notar an der Zweigertstraße. Er hat das Burggymnasium bis zur Untersekunda besucht, hat also seine Mittlere Reife gemacht, und hat danach ebenfalls eine Sparkassenlehre gemacht. Er hat allerdings schon während der Ausbildung das Abendgymnasium besucht und sein Abitur gemacht, er war sehr intelligent. Der hat mich auf die Idee gebracht.
Meine Freunde waren damals alle Studenten und nur ich war Sparkassenlehrling. Das gefiel mir auch vom Status her gesehen nicht. Als ich meine Frau kennen lernte, entwickelte ich ein Interesse andere Dinge zu lesen als die, die ich bisher gelesen hatte. Diese Dinge kamen in dieser Zeit zusammen.
NGA:
Hatten Sie die Schule bereits besucht, mit dem Wunsch Arzt zu werden?
Dr. Ludger Stratmann:
Nein, ich wollte eigentlich Berufsschullehrer werden, weil ich meinen Berufsschullehrer heiß und innig geliebt habe. Während meiner Zeit am Abendgymnasium habe ich im Bethesda-Krankenhaus in Borbeck häufig Nachtwachen geschoben. Das hat mich damals fasziniert. Ich gehe sogar so weit, dass das Einzige, was mich in meinem Leben wirklich fasziniert hat, die Medizin war. Es war aber reiner Zufall. Weder ich noch jemand in meiner Familie hatte je etwas mit Medizin zu tun. Das kam nur durch die Nachtwachen.
Ich war im Studium dann auch gut. Physik war zwar schwierig für mich, Chemie gab es damals nicht. Aber mit etwas Arbeit habe ich auch Physik bestanden.
NGA:
Man liest, sie seien Messdiener gewesen. Hatte die katholische Ausrichtung etwas mit Ihrer Entscheidung für genau diese Schule zu tun?
Dr. Ludger Stratmann:
Mit meiner Gläubigkeit war es damals schon nicht mehr so gut bestellt. Es war eine sehr linke Zeit. Ich war vorher schon Sprecher der Lehrlingsgemeinschaft und war bei den Jusos und da spielte Religion eigentlich keine Rolle. Ich wollte auf das Abendgymnasium, weil es mir ermöglichte tagsüber zu arbeiten. Ich war schließlich schon verheiratet. Hätte ich tagsüber nicht arbeiten brauchen, wäre ich wahrscheinlich auf eine Tagesschule gegangen.
Es lag auch näher für mich. Ich habe zunächst auf der Ruhrallee und dann hinterher in der Franziskanerstraße gewohnt, war Messdiener und später Lektor in St. Michael, ich kannte mich dort also gut aus. Als ich das Abendgymnasium besuchte war ich eher in meiner atheistischen Zeit.
NGA:
Bei einem Kabarettisten stellt man sich vor, dass es im Klassenraum lustig zugehen muss.
Dr. Ludger Stratmann:
Ja, das war so. Ich war damals ein Clown. Ich bin während meiner ganzen Schulzeit ein Clown gewesen, bin aber immer gut zurechtgekommen und Klassensprecher gewesen. Ich war auf dem Abendgymnasium erst zweiter Schulsprecher neben meinem Kumpel Michael Kowertz, danach war ich erster Schulsprecher. Wir haben uns da abgewechselt. Er ist später Lehrer geworden, wir haben uns aber leider aus den Augen verloren.
Ich hatte immer eine große Klappe, war immer gut drauf. Die Nachdenklichkeit kam erst, als ich im Beruf war und erste Niederlagen erleben musste. Das tut einer Persönlichkeit ganz gut.
NGA:
In einem Interview habe ich gelesen, dass Sie mit den Begleitumständen, die der Arztbesuch mitbringt mitunter große Probleme hatten. Ist das ein psychologisches Problem, wenn man von der Medizin fasziniert ist und merkt, dass auch der vermeintliche Traumberuf seine Tücken hat?
Dr. Ludger Stratmann:
Ich habe nach meiner Ausbildung eine kleine Praxis in Bottrop gekauft und bin darin aufgegangen. Ich war wirklich glücklich. Ich konnte mir allerdings nicht vorstellen, dass ich mal solch eine prominente Persönlichkeit in einem Bottroper Vorort werden würde. Aufgrund meiner Kundenaffinität wurde die Praxis schließlich so groß, dass ich nach fünf Jahren merkte, dass ich fremdbestimmt bin. Ich habe mit einer 80 Quadratmeter Praxis angefangen und hatte hinterher 300 Quadratmeter und die Praxis so aufgeteilt, dass ich durch Verbindungstüren immer im Kreis zu den wartenden Patienten gehen konnte. Meine Sprechstundenhilfe hat mich immer weitergeführt und mir gesagt, wer im nächsten Raum liegt.
Das habe ich weitere zehn Jahre durchgehalten, obwohl ich darunter gelitten habe. Ich konnte niemanden abweisen, weswegen ich hinterher 3000 Patienten hatte. Ich hatte eine der größten Praxen im ganzen Ruhrgebiet. Mitunter habe ich Hausbesuche in Münster gemacht. Zu der Zeit habe ich oft 16 Stunden gearbeitet.
Dann habe ich mich gefragt, woran ich ansonsten Spaß hätte. Sie können sich vorstellen, wie glücklich meine Frau war, als ich eines Tages nach Hause kam und ihr eröffnete, dass ich ein Theater gekauft hätte. Da kriselte die Ehe, es war aber die richtige Entscheidung. 20 Jahre Medizin reichen ja auch.
NGA:
Sie trauern dem Beruf also nicht mehr hinterher?
Dr. Ludger Stratmann:
Stellen Sie sich vor, sie kämen in die Klassen und würden denken, dass es schön wäre, wenn die Stunde schon um sei. Das bringt dann nichts mehr. Wenn ein Patient zu mir hereinkam, dann dachte ich nur daran, wie ich ihn am schnellsten wieder herausbekomme, damit die anderen nicht mehr so lange warten müssen.
Ich fühlte mich dadurch fremdbestimmt. Dass ich später auf der Bühne durch Agenturen und das Fernsehen fremdbestimmt wurde, konnte ich damals noch nicht wissen. Ich bin wieder an einem Punkt angekommen, an dem ich nur noch in meinem eigenen Theater sechzig Vorstellungen im Jahr gebe und das war es. Sie finden keinen Kabarettisten, der 250 bis 300 Vorstellungen im Jahr gibt. Das habe ich zwanzig Jahre durchgezogen.
NGA:
Wenn ich versuche, mich in Ihre Frau hineinzuversetzen, dann stelle ich mir das sehr schwierig vor. Nicht nur, dass Sie auf die Bühne gegangen sind, sondern auch ein Theater gekauft haben.
Stellen Sie sich vor, was Ihre Frau sagen würde, wenn Sie mit so etwas nach Hause kommen. Ich hatte gar keine Ahnung davon, was ein Kaberettist können muss. Dazu kamen damals fünf Millionen Mark, die ich an der Backe hatte. Meine Frau war wirklich fertig, aber heute ist sie zufrieden mit dieser Entscheidung.
NGA:
Haben Sie während Ihrer Zeit am Abendgymnasium gearbeitet?
Dr. Ludger Stratmann:
Zunächst habe ich noch bei der Sparkasse, danach an einem Tagesgymnasium in Stoppenberg gearbeitet. Da bin ich schnell wieder weggegangen, das war nicht meine Welt. Ich habe ein tolles Zeugnis von denen bekommen. Dort hieß es, Herr Stratmann habe sich stets für die Interessen seiner ihm anvertrauten Schüler eingesetzt, dabei aber nie seine eigenen Interessen vergessen. Ich habe es nie gebraucht und es hat mich deswegen belustigt. Auch da war ich sofort Sprecher der Schulassistenten und schnell auch das Sprachrohr für das Kollegium, obwohl ich ein kleiner Abendgymnasiast war. Der Direktor konnte mich von da an nicht mehr leiden.
NGA:
Wie sind Sie mit der Belastung von Arbeit und Schule umgegangen?
Dr. Ludger Stratmann:
Das verdanke ich meiner Frau. Wenn ich sie nicht gehabt hätte, hätte ich das wohl nicht durchgezogen. Ich hatte am Abendgymnasium viele Tiefpunkte, weil es lästig war, dort über vier Jahre lang jeden Abend hinzugehen. Meine Frau hat mich immer ermutigt weiter zu machen, wenn ich wieder einen Tiefpunkt durchschreiten musste. Ich habe aber beim abendlichen Arbeiten nichts vermisst. Ich war abends gut drauf, das entsprach meinem Biorhythmus. Heute würde ich auf ein Kolleg gehen, da einem das ganze kulturelle Leben am Abend flöten geht.
NGA:
Die Unterstützung durch die Ehefrau war also da. Was hat die Mutter gesagt, der man vorher gesagt hat, dass sie Sie ins Baugewerbe schicken soll?
Dr. Ludger Stratmann:
Sie können sich nicht vorstellen, wie stolz meine Mutter war, als ich in Essen so langsam Furore machte. Ich war das achte von neun Kindern und ein richtiges Problemkind und meine Mutter war glücklich, als ich kein Problem mehr für sie war. Sie hat es glücklicherweise noch vor ihrem Tod 2002 mitbekommen und freute sich jedes Mal, wenn sie mich in der Zeitung oder im Fernsehen sah.
NGA:
Wir haben darüber gesprochen, dass Sie keinen geradlinigen Bildungsgang genommen haben. Sie haben wahrscheinlich früh gemerkt, wo sich dadurch Türen verschließen oder auch öffnen. Hilft diese Erfahrung Ihnen als Kabarettist, als der Sie schließlich eine gewisse Weltsicht transportieren müssen?
Dr. Ludger Stratmann:
Ich glaube, dass das wichtig ist. Man erkennt es bei Kabarettisten, die einen ganz linearen Weg gegangen sind, dass sie das nicht kennen. Das Publikum merkt sofort, ob das, was der Kabarettist erzählt authentisch ist oder nicht. Man weiß nicht, woher Präsenz kommt. Es kann passieren, dass ich auf die Bühne gehe und alle Leute sind von Beginn an begeistert, am Folgetag kann es bei gleichem Programm viel schwieriger sein. Wenn man fast schon ignoriert wird, will man immer besser und konzentrierter werden, wird aber meistens immer schlechter. Präsenz heißt für mich authentisch zu sein, wenn ich von Problemen erzähle, die ich, aber auch die anderen Leute haben. Bei der Schulnummer merkt man das. Ich kann authentisch durch meine Biografie über Schule sprechen und man merkt z.B. wie viele Leute Probleme in ihrer Schulzeit hatten.
NGA:
Dieses authentische Auftreten merkt man als Zuschauer sehr deutlich.
Dr. Ludger Stratmann:
Ich würde auch nie etwas schreiben, was mich nicht berührt. Ich könnte mich nicht, wie Urban Priol, zehn Jahre über die Frisur von Angela Merkel lustig machen. Die Frisur von ihr interessiert mich nicht. Das merkt das Publikum schnell. Auch so Weltverbesserer finden selten ihr Publikum. Man braucht eine Figur, die einen Spiegel der Gesellschaft darstellt, die Schlüsse muss das Publikum dann aber selbst ziehen. Damit bin ich immer gut gefahren. Ich habe mit 45 Jahren angefangen und in zwanzig Jahren ca. drei Millionen Livezuschauer gehabt. Viel mehr kann man gar nicht erreichen.
Da muss ich mir selbst auf die Schulter klopfen. Das habe ich auch schon immer gemacht. Meine Mutter sagte dann immer in ihrer westfälischen Art: Ludger, du kannst alles.
NGA:
Sind Sie neben Ihrem Auftritt zur 50-jahrfeier der Schule noch mit dem Abendgymnasium verbunden?
Dr. Ludger Stratmann:
Ich war danach noch auf einigen Schulfesten. Die Tochter des ehemaligen Schulleiters Graebe sowie ihr Mann waren Freunde von mir und so hatte ich auch mit ihm noch manchmal Kontakt. Auch mit Herrn Fessler habe ich ein paar Mal gesprochen. Die Klasse ist jedoch ziemlich auseinandergekegelt worden. Ich habe zwar noch mit zwei Leuten Kontakt, die anderen sind aber aus meinem Blickfeld geraten. Wir waren aber sehr lange und intensiv beieinander und waren am Ende froh, uns nicht mehr jeden Tag sehen zu müssen.
NGA:
Denken Sie manchmal an besondere Lehrkräfte an der Schule zurück, die Sie möglicherweise geprägt haben?
Dr. Ludger Stratmann:
Ich kann mich noch gut an alle Lehrer erinnern. Ich fand die toll. Ich habe sie nicht beneidet, mit dieser Horde zu arbeiten. Es war eine linke und aufbrausende Zeit. Wir haben gemotzt und wollten viel ändern. Ich weiß noch, wie Herr Graebe meinen Freund Kowertz und mich zusammengefaltet hat, weil wir mal wieder etwas Neues wollten. Er war ein toller Mann, der ganz geradeaus zu uns war. Ich bin den Lehrern dankbar, dass sie in diesen schwierigen Zeiten mit uns gearbeitet haben. Auch Herr Leiters war fachlich wie menschlich großartig. Viele von uns konnten an manchen Punkten nicht mehr weitermachen und es gab Lehrer, die uns dann zurückholen konnten, indem sie uns motiviert haben.
Vielen Menschen würde dieser Bildungsweg gut tun. Ich denke, dass unsere Kinder viel zu früh in die Bösartigkeit des Wettbewerbs geschickt werden. Ich finde den Wettbewerb ganz grausam und glaube dass viele Probleme erst durch den Druck entstehen, die dieser Wettbewerb erzeugt.
NGA:
Die Diskussion über die Berechtigung des Zweiten Bildungswegs wird seit der PISA-Studie kontrovers geführt. Für wie wichtig erachten Sie aus eigener Erfahrung die Beibehaltung dieser Schulform?
Dr. Ludger Stratmann:
Ich weiß aus meiner eigenen Erfahrung, aber auch aus Erfahrungen in meiner Familie, dass nicht alle Kinder mit der Schule gut zurechtkommen. Ich halte Bildung für absolut notwendig und die einzige Chance für Menschen, die diese nicht auf Anhieb erhalten, ist der Zweite Bildungsweg. Ich halte den Zweiten Bildungsweg für sehr wichtig.
Eine Pädagogin sagte mal, dass das Leben so einfach wäre, wenn die Pädagogen nicht dazwischenkämen. Ein bisschen stimmt das. Die Lehrer auf dem Burggymnasium konnten mit meiner Fantasie nicht umgehen. Ich war nicht doof, sondern nur anders gepolt. Solche Kinder kommen nicht durch.
NGA:
PISA-Schock und Bologna-Prozess haben dabei extreme Auswirkungen. Es muss schneller, höher und weiter gehen. Sie kommen aus dem medizinischen Bereich. Durch die Reformen sollen Menschen mit Anfang 20 bereits Therapeuten sein, die diese Lebenserfahrung gar nicht haben können, um diesen Beruf auszuüben. Auf dem Abendgymnasium können die Studierenden bereits Lebenserfahrung in die Ausbildung mitnehmen.
Dr. Ludger Stratmann:
Die literarische Ausbildung beispielsweise war auf dem Abendgymnasium nicht so umfassend wie im ersten Bildungsweg. Ich fühle mich literarisch nicht auf einem guten Stand. Das hängt damit zusammen, dass ich danach ausschließlich medizinische Fachliteratur gelesen habe. Aber dass man überhaupt damit beschäftigt wird, halte ich für wichtig. Es wurde damals sehr viel wert auf wissenschaftliches Arbeiten gelegt. Das Hinterfragen und Diskutieren über Literatur ist aufgrund der Lebenserfahrung besser gewesen als unter Zwölfjährigen.
NGA:
Es wurde zuletzt der interreligiöse Dialog der Abendgymnasien betont. An welchem Ort haben Erwachsene unterschiedlicher Religionen die Möglichkeit, sich über ihren Glauben auszutauschen? Im Abendgymnasium passiert genau das. Das ist eine einmalige Möglichkeit.
Dr. Ludger Stratmann:
Das geht auch nur in der Erwachsenenbildung. Kleine Kinder sind durch ihre Eltern sehr viel mehr in diesen Fragen geprägt. Ich bin in Westfalen groß geworden, im ehemaligen Wahlbezirk von Rainer Barzel. Wer da evangelisch war, war bereits unten durch.
NGA:
Einige sehr gute Studierende berichten uns, dass Sie aus mangelnder Lust an der Tagesschule gescheitert sind. Das ist ein häufig gehörtes Problem.
Dr. Ludger Stratmann:
Das kann die normale Schule auch nicht leisten. Die Klassen sind zu groß, um jeden einzeln zu motivieren. Die Schulen müssen sich darüber hinaus auch noch mit Eltern und Rechtsanwälten herumschlagen. Aber es bleibt dabei, dass ein Kind wie ich keine Chance gehabt hätte, wenn es das Abendgymnasium nicht gegeben hätte. Möglicherweise wäre ich auch in der Sparkasse ein guter Sachbearbeiter geworden, das weiß ich nicht. Wenn man das Abendgymnasium abschafft, dann kann man gleich zehn Prozent der Kinder auch abschaffen, die dann keine Chance mehr haben.
NGA:
Wir danken Ihnen für das Gespräch.